Wort zur Woche
von Pfarrerin Ina Piatkowski
Süßes oder Saures!?
Haben Sie für heute Abend Ihren Süßigkeitenvorrat aufgefüllt? Oder wie werden Sie den gierigen Gespenstern vor Ihrer Haustür begegnen? „Süßes oder Saures!“ rufen die verkleideten Kinder Ihnen zu, sobald Sie ihnen die Tür öffnen. Und wenn Sie nicht etwa faule Eier an Ihrer Haustür kleben haben möchten, dann sollten Sie lieber leckere Naschereien rausrücken.
„Süßes oder Saures!“, dieser Ausruf erinnert mich an das Mittelalter: „Steck dein Geld hier in meinen Kasten oder du wirst nach deinem Tod im Fegefeuer sitzen.“ Sätze in diesem Sinne riefen die Ablassprediger den Menschen auf den Marktplätzen zu. Die Menschen damals hatten geglaubt, dass alles, was sie in ihrem Leben getan, gesagt oder gedacht haben, nach dem Tod in eine Art Waagschale gelegt wird. Wenn das Böse überwog, kauften sie sich den Ablass für eine vergangene böse Tat und die Waagschale wurde wieder ausgeglichen.
Ein berühmter Ablassprediger war Johann Tetzel. Der Tetzelstein bei Braunschweig erinnert an die Sage um den Tod eines solchen Ablasspredigers: Es gab in Küblingen einen Edelmann, der für seine Gerechtigkeit gegenüber dem niederen Volk bekannt war. Ihm missfielen die Ablasspredigten besonders, weil er nicht mit ansehen konnte, dass die Armen im Volk aus Angst vor dem Fegefeuer ihr Geld für den Ablass ausgaben und dafür Hunger litten. Der Ärger des Edelmannes darüber ging so weit, dass er mit seinen Mitstreitern einen blutrünstigen Plan ausheckte. So ging der Edelmann auf den Ablassprediger zu und fragte ihn, ob er auch einen Ablass für eine noch zu begehende Mordtat kaufen könne. Dieser bejahte und das Geschäft war gemacht. Am Abend lauerten der Edelmann und seine Mitstreiter dem Prediger auf seinem Reiseweg im nahe gelegenen Wald auf und überfielen ihn. „Für diese Tat habe ich bereits bezahlt und den Ablass von dir erhalten!“, rief der Edelmann ihm zu, bevor er ihn erschlug. Das geraubte Geld verteilten sie natürlich unter den Bedürftigen.
In jener Zeit begann man nicht nur die Missstände der Kirche anzuprangern, wie es dieser Edelmann mit seinem Verhalten tat, sondern auch neu nach Gott zu fragen. Bekannt dafür wurde Martin Luther. Er lehrte die Menschen seinen Glauben: Gott hält uns nicht eine Waagschale bereit, sondern seine Liebe, die uns geschenkt ist ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Mit diesem neuen Denken über Gott begann die Reformation. Heute feiern wir den Gedenktag der Reformation. „Süßes oder Saures“ ist für uns Christen heute keine Frage mehr. Aber wir werden am Reformationstag erinnert, dass wir in allen Zeiten neu nach Gott fragen und kritisch auf unsere Kirche schauen sollen, ob sie nicht wieder ein Gespenst birgt, indem sie beispielsweise blasse, verknöcherte Predigten hält oder an abgelebten Traditionen haftet etc.
Also, lassen Sie uns den Reformationstag feiern und die Gespenster vertreiben!
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