Moment mal
von Superintendent Oliver Günther
Das Phantom der Oper
Irgendwann reißt sie ihm die Maske vom Gesicht und – ist entsetzt: Wie kann man nur so hässlich sein? Hässlich und – einsam. Das Phantom der Oper ist eine der ungezählten Variationen zum Thema „Die Schöne und das Biest“. Seit Jahren zieht das Musical Tausende von Besuchern in seinen Bann, nicht zuletzt in Hamburg und Basel. Irgendwo tief unten in den Gewölben der Pariser Oper hat der Hässliche ein eigenes bizarres Reich geschaffen. Dorthin versucht er, die junge Opernsängerin zu entführen, in die er sich verliebt hat. Es gelingt. Das Glück kann nur von kurzer Dauer sein. Nachdem ihm die Schöne die Maske vom Gesicht gerissen hat, stirbt er. Die schaurig-schöne Geschichte findet ihr schaurig-schönes Ende.
Von einiger Zeit war ich in der Pariser Oper, der echten. Ein bisschen Gänsehaut hatte ich schon, zugegeben. Aber es war kein Phantom zu sehen, nur Touristen und Angestellte. Doch wer weiß schon, was sich hinter den Kulissen abspielt oder unten in den mehrstöckigen Kellergewölben, die es tatsächlich gibt. Und wer ahnt schon, dass mancher Mensch, dem man begegnet, eine dunkle Lebensgeschichte zu bewältigen hat. Ob die Wahrheit über Korruption und Bestechlichkeit in der FIFA wohl je ganz ans Licht kommen wird?! Man sieht halt nur, was man sieht, was augenfällig ist. Mein Opa, übrigens auch ein leidenschaftlicher Fußballer und einfacher Bergmann aus dem Ruhrgebiet, hatte häufig einen klugen Satz gesagt: „Junge, man kann den Leuten immer nur vor’n Kopp gucken!“ Recht hatte mein Opa. Da sind wir Menschen aber anders als Gott. Die Bibel drückt das so aus: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; Gott aber sieht das Herz an.“ (1. Samuel 16,7) Will sagen: Gott blickt tiefer. Ihm kann man nichts vormachen. Er kennt die ganze Wahrheit. Er blickt hinter die Kulissen. Sieht auch bis in die tiefsten Kellergewölbe. Gut, dass das so ist, sonst gäb’s keine Hoffnung in dieser Welt – nicht fürs Phantom, nicht für mich.
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