Gedenkveranstaltung in Lenzen
von Superintendent Hans-Georg Furian
Liebe Gemeinde,
vor zwanzig Jahren stand von uns keiner hier. Der Wachturm im Hintergrund macht das auf seine Weise deutlich. Aber er hat seinen Schrecken verloren. Darum lade ich ein in die Worte des Beters aus dem 109. Psalm einzustimmen: „Ich will dem Herren danken und ihn vor der Menge rühmen.“ Amen
Dankbarkeit versteht sich nur dann, wenn die Dinge einen Grund haben, und zwar in dem, den man ansprechen kann: in einem Menschen und - wenn es um das Ganze geht - in Gott. Werden die Dinge grundlos, gibt es auch keinen Grund, danke zu sagen.
Das flächendeckende Vergessen des christlichen Glaubens im Lande der Reformation ist einer der Gründe, weshalb man zwar gerne klagt, aber kaum für die Segnungen des Lebens dankbar ist.
Wie wenig sich diese Segnungen des Lebens von selbst verstehen, das zeigt die Wende überdeutlich. Wir mögen die Gunst der Stunde genutzt haben; dass sie dennoch ein Geschenk war zeigt sich auch daran, wie überraschend sie für uns kam. An der Wende zeigt sich, was für unser Leben überhaupt gilt: wir haben es nicht in der Hand. Der christliche Glaube nimmt diese Erfahrung auf. Er bietet uns den Glauben an, der unser Leben an seinen Grund erinnert. Gottes Idee verdanken wir uns. Weil er uns möglich machte, konnten wir durch die Liebe unserer Eltern wirklich werden. So ist Geschichte überhaupt. Sie lebt von mehr, als sich vorher ausrechnen lässt und auch von dem, was Gott vorhat. Wo dieser Horizont fehlt, da fehlt auch der Adressat der Dankbarkeit: Gott. Und dann verkümmert so ein Tag wie heute. Und die Menschen mit ihm. Er wird ein weiterer freier Tag, um dessen Grund man kaum weiß.
Wenn wir uns hier versammeln, dann auch, weil wir wissen: was man nicht erzählt, zählt nicht. Nur wenn man seine eigene Geschichte kennt, kann man auch die Zukunft gestalten. Zu dieser Geschichte - die Wende macht das deutlich - gehört eben mehr als der Mensch. Dazu gehört auch der Glaube - und damit Gott selbst - , der uns aufstehen ließ gegen Willkür, Lüge und Gewalt. Denn auch das war die DDR.
Der Streit, ob sie ein Unrechtsstaat gewesen ist oder nicht verdeckt, dass man nicht wegen, sondern trotz der DDR ein glückliches Leben führen konnte. Wer wollte das bestreiten, dass es das kleine Glück in der Nische des Privaten gab. Aber dies nun als Grund dafür zu nehmen, das andere wegzulassen geht nicht an. Dem müssen wir deutlich widersprechen. Gerade in Zeiten der Krise brauchen Menschen klare Orientierung und nicht die Wiederholung gescheiterter Gesellschaftsentwürfe.
Die Ichsucht und die Gier nach immer schnellerem Gewinn nennt die Bibel Sünde. Von ihr kann man erlöst werden. Als dann, von dieser Gier abgelöster Mensch, ist man frei, weil man sich ganz dem Plan Gottes anvertraut. Nicht, als bräuchte man nicht mehr vorzusorgen, sondern in aller Sorge um die Zukunft wirft man sich dem Leben vertrauensvoll in die Arme, weil Gott der gute Grund unserer Hoffnung ist.
Die Moderne dachte freilich seit der Aufklärung anders. Sie setzte Erziehung an die Stelle von Erlösung. Sie meinte, dass sich der Mensch erziehen lässt, bis dahin, dass seine Gier verschwinde, wenn ihn nur die Verhältnisse nicht verführten. Das vorige Jahrhundert mit seinem Umerziehungsprogramm im stalinistischen Gulag war dann der Beweis, dass diese Theorie nicht zutrifft. Ein Blick in das Neue Testament hätte da eher geholfen. Denn da wird der Mensch als Sünder bezeichnet, der sich eben nicht selbst so ändern kann - und auch nicht so geändert werden kann - dass er seine Sünde los wird.
Und darum darf nicht die schrankenlose Freiheit des Marktes gelten. Der Staat muss regulieren. Er muss die Spielregeln festlegen, und er muss sie auch kontrollieren, damit das Geld nicht immer schneller ist als die Regeln, die ihm gelten. Verantwortliche Politik rechnet mit der Sünde des Menschen und legt dem Markt deshalb Zügel an. Diese - aus dem Neuen Testament kommende – Orientierung, in der unsere Freiheit auf ihr menschliches Maß gebracht wird, brauchen wir: die Wähler wie die Gewählten. Und darum sollen wir Wähler auch von der Politik nicht erwarten, was sie nicht kann: besser sein als wir selber.
Lassen Sie uns darum gemeinsam an einer Ordnung arbeiten, in der der christliche Glaube nicht zur Privatangelegenheit verkommt, sondern in der Öffentlichkeit gelebt werden kann und verantwortet werden muss. Wer Religion aus dem öffentlichen Raum, und da denke ich besonders an unsere Schulen in Brandenburg, heraus drängt muss sich nicht darüber wundern, was dann an ihre Stelle tritt: schrankenloses Gewinnstreben oder radikale Ideologien. Beides mag in Zeiten der Unsicherheit gut ankommen, weiterkommen wir damit nicht. Die Erinnerung an die überwundene Diktatur - sie nannte sich selbst so - macht uns dankbar; aber sie verpflichtet uns zugleich zum Einsatz für eine Freiheit, die sich Gott verdankt und darum dem Leben dient.
In dieser Freiheit erinnern wir uns dankbar der Wende vor nun bald zwanzig Jahren. Heute können wir hier stehen, wo damals keiner von uns lange gestanden hätte. Dass das heute kaum mehr interessiert ist für uns kein Grund zum Rückzug sondern ein Anlass, nicht zu verschweigen, was auch morgen gilt: das Herkunft Zukunft ist. Und weil zu unserer Herkunft mehr gehört, als wir machen können, darum gilt uns das Wort aus dem 109. Psalm: „Ich will dem Herren danken und ihn vor der Menge rühmen.". Amen
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