„Wir sind keine Musikkapelle“
von Susanne Liedtke
Beitrag aus "Die Kirche" vom 13.12.2015, S. 8
Gottesdienste finden in manch abgelegener Kirchengemeinde oft nur noch an den Feiertagen statt. Aber gerade in diesen kleinen Orten treffen sich das ganze Jahr über Woche für Woche Bläserinnen und Bläser in evangelischen Posaunenchören, um gemeinsam zum Lobe Gottes zu musizieren. In der abendlichen Stille der kleinen Dörfer verkündet das Licht, das während der Proben aus Kirchen und Gemeindehäusern in die Dunkelheit fällt: Hier findet Gemeindeleben statt, hier ist Musik.
Seit dem Herbst schon haben sich die Übungstermine gehäuft, denn wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit wird rechtzeitig für die Prignitzer Advents- und Weihnachtsmusiken geprobt. In diesem Jahr findet das gemeinsame Konzert der Bläserchöre aus den Kirchenkreisen Kyritz-Wusterhausen, Prignitz und Wittstock-Ruppin zum 39. Mal statt. In der Evangelischen Kirche in Wittenberge (Kirchenkreis Prignitz) werden unter der musikalischen Leitung von Landesposaunenwartin Barbara Barsch 80 Bläserinnen und Bläser zum musikalischen Motto „Kein Raum in der Herberge, der Traum von Himmel und Erde“ gemeinsam musizieren. Geprobt hat jeder Chor für sich und auf drei Regionalproben im November. Viele Stücke des Programms sind zum Mit singen gedacht. Den liturgischen Teil der Advents- und Weihnachtsmusiken, die eine Veranstaltung des EKBOPosaunendienstes ist, wird Landesposaunenpfarrer Ulrich Schöntube gestalten. Die Leitung der Posaunenchöre liegt zumeist in ehrenamtlichen Händen, wie auch die Arbeit der Kreisposaunenwarte und selbst die des Landesposaunenpfarrers. Ein Dienst, der nebenher immer schwerer zu bewältigen ist: Kirchenkreise werden größer, Fahrtwege weiter und engagierte Musiker weniger.
Andreas Dräger, Kreisposaunenwart in der Prignitz, kritisiert den mangelnden Rückhalt durch die Landeskirche. „Wir brauchen mehr hauptamtliche Unterstützung unserer Arbeit“, betont er und ärgert sich, dass die Landessynode im vergangenen Jahr eine Anteilfinanzierung für die Stelle des Landesposaunenpfarrers abgelehnt hat. „Dabei ist Posaunenarbeit eine wichtige Säule der Verkündigung“, sagt Dräger, „wir sind keine Musikkapelle.“ Stattdessen gelte es, einen musikalisch-theologischen Auftrag zu erfüllen, macht er deutlich, „dafür brauchen wir einen Landesposaunenpfarrer“. „Posaunenchöre sind ein wichtiges Merkmal in unserer evangelischen Kirche“, sagt Andreas Dräger. Gerade auf dem Lande sind es oft mehrere Generationen einer Familie, die in den Chören gemeinsam musizieren. Wo der Großvater schon Posaune spielte, gibt er sein Instrument später an den Enkel weiter. Wo Vater oder Mutter blasen, sind die Kinder bei Proben und Konzerten meist dabei. So wird die Begeisterung ganz selbstverständlich von Generation zu Generation weitergegeben. Für viele Kinder ist der Bläserchor ihrer Gemeinde der Einstieg in die musikalische Welt, Posaune oder Trompete das erste Instrument.
So wie bei Richard Spitzner. Der 15-Jährige spielt seit fünf Jahren Trompete im Posaunenchor Falkenhagen (Pfarrsprengel Pritzwalk, Kirchenkreis Prignitz). Begonnen hat seine Musikerlaufbahn aber schon weitaus früher – denn bereits als Zweijähriger durfte er bei seinem Vater auf dem Schoß sitzen, während dieser bei Kirchenkonzerten das Flügelhorn blies. Heute tritt der Jugendliche selber bei Konzerten auf – und das gemeinsam mit seinem Vater und seinen beiden Schwestern Anna-Lena (16) und Rebecca (15). „Als kleine Kinder durften wir nur die Notenblätter für meinen Vater umblättern“, so Anna-Lena, „dann haben wir richtig gedrängelt, bis wir selber anfangen konnten zu spielen.“ Besonders gern bläst sie alte Chörale. Sie findet: „Die alten Stücke haben schönere Melodien als neue Lieder. Die Stimme seines Instrumentes lässt sich dabei intensiver herausfühlen.“
Am 12. Dezember wird auch die Familie Spitzner wieder unter den Bläserinnen und Bläsern sein, die bei den 39. Prignitzer Advents- und Weihnachtsmusiken in Wittenberge gemeinsam Choräle und Weihnachtslieder spielen. Anna-Lena Spitzner freut sich besonders: „Wenn alle Chöre im großen Konzert zusammen blasen, bekomme ich vor Begeisterung jedes Mal Gänsehaut.“
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