Moment Mal

von Superintendentin Eva-Maria Menard

Menschen, nicht Zahlen

Täglich gegen 13 Uhr scheint der Server des Landkreises Prignitz überlastet. Denn es dauert lange Sekunden, bis sich die Homepage öffnet. So wie ich wollen offenbar viele Menschen sich unter „Corona - aktuelle Infos“ über die neuesten Entwicklungen im Landkreis informieren. Endlich baut sich die Seite auf. Ein banger Blick auf die Zahl der Infizierten, ein erleichterter auf die Zahl der Genesenden, ein erschrockener auf die Zahl der Verstorbenen. Und ein hoffender Blick auf die Inzidenz, die darüber entscheidet, ob ich den Landkreis über die angeordneten 15 km verlassen darf, die alten Eltern besuchen, mit Freunden mich treffen und die Enkelkinder drücken kann.

Nüchterne Zahlen sind es in einer unspektakulären Tabelle, real und doch irgendwie kaum fassbar. Dabei weiß ich: Hinter den Zahlen verbergen sich Namen, Gesichter, Lebensgeschichten. Mit dem heutigen Tag haben sich 1.940 Prignitzer infiziert, dreiundachtzig davon sind seit Oktober 2020 im Landkreis an den Folgen von Covid-19 gestorben. Und wenn Sie diese Zeilen lesen, sind noch einige hinzugekommen.

Dreiundachtzig Namen, dreiundachtzig Gesichter, dreiundachtzig Lebensgeschichten. Dreiundachtzig Tote, die Partner, Kinder, Enkelkinder, Freunde, Nachbarn zurücklassen. Die engsten Angehörigen konnten - wenn überhaupt - nur hinter Schutzkleidung verborgen für die Erkrankten da sein, die Hand halten und Abschied nehmen. Manchmal durften sie auch nur durch die Glasscheibe winken. Dreiundachtzigmal Sorge, Erschrecken, Hoffen, Ängste, traurige Gewissheit. Dann die Beerdigung im „engsten Familienkreis“, ohne Einladung zum Trauerkaffee.

Und nun? Wohin mit den Gefühlen über diesen Abschied, wohin mit den Erinnerungen, die nur so wenige mit mir teilen können, wohin mit den Tränen, die unter der Maske fließen? Wohin mit meiner Sehnsucht nach tröstender Nähe, nach Umarmung und berührender Anteilnahme?

In den kommenden Wochen wird an der Kirche in Perleberg immer donnerstags um 12 Uhr für jeden Verstorbenen eine Kerze leuchten und ein Buch ausliegen. Sie können den Namen des Menschen, um den Sie trauern, in das Buch eintragen, ein Foto einkleben oder eine Blume ablegen.

Und es wird jemand da sein. Jemand, der Ihnen zuhört oder mit Ihnen schweigt. Jemand, der für Sie betet, wenn Sie mögen. Kein Name soll vergessen sein, keine Lebensgeschichte verloren gehen.

Im Vertrauen auf Gottes Zusage: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

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