Gottesdienst in Weisen
von Superintendent Hans-Georg Furian
Liebe Schwestern und Brüder,
heute ist ein Tag der Dankbarkeit. Nicht nur, weil uns heute bewusst wird, dass wir wieder ein Jahr lang mit all dem versorgt worden sind, was unser Leib braucht, sondern auch, weil wir dankbar auf die gelungene Sanierung dieser unserer Kirche blicken; für Leib und Seele ist gesorgt; dafür sind wir dankbar.
Lassen wir uns auf die Behauptung des Beters im 145. Psalm ein: ‚Alle Augen warten auf dich Herr, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.‘ Amen.
‚Alle‘ - stimmt das? Nur noch eine Minderheit gehört in unserem Kirchenkreis unserer evangelischen Kirche an; ungefähr ein Viertel der Einwohner. Sieht man sich dieses Viertel an, dann bemerkt man das Alter: Wir sind gute Mittfünfziger. Da darf man schon fragen, was sich auch der ehemalige Pfarrer dieser Gemeinde, Gottfried Winter, in seiner verdienstvollen Orts- und Kirchenchronik Weisen, gefragt hat: ‚Es entsteht der Eindruck, dass die kleine Zahl der Nutzer der Kirchenräume in keinem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Kostenrahmen der Instandsetzung steht.’ Diese Frage bezog sich auf die Reparatur- und Restaurierungsarbeiten zwischen 1993 und 1996. Man kann sie sich auch heute stellen. Wir bejahen sie: Ja, es ist gerechtfertigt. Denn diese Kirche ist nicht nur ein Ausdruck des Glaubens der Wenigen, sondern auch ein Aufruf zum Glauben an Viele.
Und darum ist es angemessen, keinen Schutthaufen in der Mitte des Dorfes zu hinterlassen, sondern einen Ort der Orientierung. Denn eine Kirche ist nicht nur das Gebäude, um das man nicht herumkommt, das sich einem in die Sicht stellt, sondern sie birgt einen Raum, in dem ja nicht nur wir sitzen. Nein, hier sind wir verbunden mit denen, die vor uns hier gesessen haben. Das hier ist ein Ort, wo Menschen ihre Kinder zur Taufe brachten, weil sie dem Segen Gottes Kraft zugetraut haben, die Kraft ihr Kind zu beschützen. Wo Menschen in der Konfirmation Orientierungswissen an die Hand bekamen. Wo sich in der Trauung fürs Leben Treue versprochen wurde, weil man um Gott als den Dritten im Bunde wusste, der auch dann ein offenes Ohr hat, wenn es dem Partner fehlt. Ein Ort, wo von Menschen Abschied genommen werden konnte, weil man hier darum wusste, dass mit dem Tod nicht einfach alles aus ist, sondern uns Gott in unserem Sterben von seiner einen an seine andere Hand nimmt. All diese Menschen sind mit ihren Hoffnungen und Träumen wie mit ihrer Trauer und ihren Tränen jetzt dabei. Sie haben diesen Raum geprägt, und wir treten dazu. Ihrem Glauben haben wir geglaubt. Keiner muss nur er selbst sein und an der eigenen Glaubenskärglichkeit verhungern. Die, die vor uns hier waren, nehmen uns hinein in ihr Geschick und damit in ihren Glauben. So stellen sich die Worte ein, mit denen wir unser Leben auslegen. Das spricht ja nicht für sich selbst, sondern wir bringen es zur Sprache, indem wir es in Worte fassen. Und da sind wir bei dem Notwendigen, das die Not wendet, und das wir nur von Gott erbitten können: nämlich Worte, die dem Leben gerecht werden.
Wir wissen: Wer verstanden werden will, der findet Worte – er erfindet sie nicht; und wer sie dennoch erfindet, den versteht keiner, weil man seine Worte nicht kennt.
Wir wissen: Wer nach Orientierung fragt – nach dem, was gilt, der sagt sich das nicht selbst.
In unserer Sprache wie in unserer Frage nach dem, was gilt, sind wir nie allein, sondern immer auf andere angewiesen. Zu ihnen gehören die, die vor uns waren – auch in dieser Kirche saßen – zu ihnen gehören unsere Bekannten und Freunde. Wie sehr wir uns selbst nicht genug sind, zeigt sich daran, dass wir uns das Wort, von dem wir leben, nicht selbst sagen können; das Wort: Ich verzeihe dir. Das kann uns nur gesagt werden; wir selbst können es uns nicht zusprechen. Und dahinter leuchtet nun die ganze Wirklichkeit Gottes auf. Denn jedes lebensdienliche Wort hat ihn, sein Ja zum Leben, als Grund. Er ist der gute Grund unseres Vertrauens, dass es das Leben gut mit uns meint.
Das bedeutet auch, dass Gott uns, die wir nie mit uns fertig werden, in seiner Ewigkeit vollendet. Wir leben unter dem leichten Gedanken, dass wir Fragmente sein können. Wir sind nicht die Autoren unserer eigenen Ganzheit. Der Blick Gottes sieht uns in eine Ganzheit, die alle unsere Selbstversuche übersteigt. Man kann sich nun annehmen als das, was man ist: als Fragment. Wir müssen uns nicht selbst genug sein. Gott ist unser Genug, das genügt. Mit ihm können wir leben. So wird die Not gewendet, als müssten wir uns selbst erfinden durch das, was wir versuchen. Nein, von diesem Druck sind wir frei. Wir finden durch den christlichen Glauben zu uns, weil Gott uns erfand. Dafür sind wir dankbar. Für Leib und Seele ist gesorgt.
Damit der Dank nicht verstummt, darum gibt es diese Kirche hier. Und damit es sie auch für die gibt, die nach uns kommen, ist sie in viel Kleinarbeit und mühevollem Einsatz über all die Jahrhunderte erhalten worden. Dieses Werk haben wir weitergeführt. Wir sind dankbar, dass es so gut gelungen ist. Amen
Hans-Georg Furian
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