Predigt am Ewigkeitssonntag 2010, gehalten in Kreuzburg und Rohlsdorf

von Superintendent Hans-Georg Furian

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und von unserem Herren Jesus Christus. Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
zwei Namen und ein Tag: Ewigkeitssonntag und Totensonntag. Einmal blicken wir zurück und erinnern uns unserer Toten. Die andere Blickrichtung richtet sich nach vorn, zu dem, was sich unsichtbar um uns weitet, zur Ewigkeit. Gibt es einen ‚Wink unserer Sprache‘, dem wir uns anvertrauen sollten? Was zeigt sich darin, dass es zwei Namen für einen Tag gibt?
Der Blick voraus nimmt den Ort in Besitz. In dem wir ihn benennen: Ewigkeit, nehmen wir ihn gleichsam ein. Haben wir das nötig? Brauchen wir die Ewigkeit?
Im Blick zurück erinnern wir uns unserer Verstorbenen. Sie bedeuten uns viel. Wie wir uns entwickelt haben, das haben wir auch ihnen zu verdanken. So, wie wir sind, wären wir ohne sie nicht: ohne unsere Eltern oder Großeltern, ohne unsere Kinder und Freunde. Der Blick zurück lebt von unserem Dank – und er macht uns dankbar. Wir mussten unsere Verstorbenen loslassen. Und doch sind sie uns nahe.
Das kann auch zu einer Nähe führen, die gefährlich ist: man zieht sich zurück und lebt in der Vergangenheit. Wer das macht, hat gerade nicht losgelassen. Loslassen gelingt, wenn man festhält: unsere Verstorbenen sind nicht einfach weg, sondern aufbewahrt und geborgen.
Hier nun kommt der Blick nach vorne ins Spiel, die Ewigkeit. Denn sie bezeichnet den Ort, an dem unsere Verstorbenen bewahrt sind – und an dem auch unser Leben zu seinem Ziel kommt. Rechte Trauer gelingt nur, wenn wir mit der Ewigkeit leben. Sie ist uns zwar immer einen Schritt voraus, aber wir können sie nie verfehlen.
Zwei Namen und ein Tag: Ewigkeitssonntag und Totensonntag. Wir blicken nur dann lebensdienlich zurück, wenn wir auch nach vorne blicken. Nur, wer den Tod verbindet mit der Ewigkeit kann seine
Verstorbenen loslassen, ohne sie zu vergessen; denn unsere Verstorbenen bleiben bewahrt. Dieses Gedenken gibt dem Leben eine Chance und verstellt es nicht durch die Trauer.
Aber wie soll man sich das vorstellen? Dazu macht uns der Apostel Paulus im 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes klar:
„Aber vielleicht fragt jemand: »Wie soll denn das zugehen, wenn die Toten auferweckt werden? Was für einen Körper werden sie dann haben?«
Wie kannst du nur so fragen! Wenn du einen Samen ausgesät hast, muss er zuerst sterben, damit die Pflanze leben kann. Du säst nicht die ausgewachsene Pflanze, sondern nur den Samen, ein Weizenkorn oder irgendein anderes Korn. Gott aber gibt jedem Samen, wenn er keimt, den Pflanzenkörper, den er für ihn bestimmt hat. Jede Samenart erhält ihre besondere Gestalt.
So könnt ihr euch auch ein Bild von der Auferstehung der Toten machen. Was in die Erde gelegt wird, ist vergänglich; aber was zum neuen Leben erweckt wird, ist unvergänglich. Was in die Erde gelegt wird, war von natürlichem Leben beseelt; aber was zu neuem Leben erwacht, wird ganz vom Geist Gottes beseelt sein.
Wenn es einen natürlichen Körper gibt, muss es auch einen vom Geist beseelten Körper geben.“ Amen
Liebe Gemeinde, nicht nur die Seele bleibt, sondern der – wenn auch verwandelte – Körper. Paulus versucht das zu verstehen. Darum denkt er nach und kommt auf den Vergleich zwischen einem Samenkorn, das stirbt und dadurch Leben weitergibt und dem Tod. Der Tod markiert das Ende unserer Möglichkeiten, mit dem anderen Menschen, aber er ist doch nicht nur ein Ende, sondern zugleich ein Übergang in die Ewigkeit Gottes. Dort erreicht der Mensch das Ziel seines Lebens. Das ist der Trost des christlichen Glaubens.
Tröstlich ist das einmal wegen der Gerechtigkeit. Denn nur, weil in der Ewigkeit Gottes ausgeglichen werden kann, was hier an Unrecht erfahren worden ist, ist Gerechtigkeit überhaupt möglich. In dieser Welt gibt es sie nicht. Sie bleibt ein Ziel und eine schöne Idee. Verwirklicht werden kann die Gerechtigkeit nur, weil es die Ewigkeit
Gottes gibt. In ihr kann das weltliche Unrecht ausgeglichen und gut gemacht werden. Natürlich lässt sich das auch falsch verstehen, als Vertröstung, in der man sich mit dem Himmel und dem Jenseits beruhigt, und darum dann nichts an den schlimmen und ungerechten Verhältnissen in dieser Welt ändert. Aber so ist der Trost des Glaubens nicht gemeint. Vielmehr ist er es, der verhindert, dass uns der Mut verlässt und wir das Unrecht einfach hinnehmen.
Dies ist nur die eine Seite des Trostes, den der christliche Glauben durch die Zusage des ewigen Lebens schenkt. Die andere Seite ist, dass niemand verloren geht. Durch die Auferstehung des Körpers bleibt jeder wieder erkennbar. Niemand gerät in die Vergessenheit. Vor Gott und in seiner Ewigkeit bleibt jeder individuell bewahrt. Darum können wir nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand.
Der Glaube an das ewige Leben stellt aber nicht nur den Trost in diesem Leben sicher. Er führt auch dazu, dieses irdische Leben realistisch einzuschätzen. Mir begegnet es oft, dass das Thema Sterben und Tod vermieden, ja verdrängt wird solange es geht. Dabei gilt, was folgende jüdische Legende festhält:
Ein anonymer Schreiber berichtet über einen Besuch bei Hofetz Chaim, einem polnischen Rabbi, der im 19. Jahrhundert lebte. Als der Besucher sah, dass die Wohnung des Rabbi aus einem einzigen Zimmer bestand, in dem sich nur Bücher, ein Tisch und eine Bank befanden, fragte er verwundert: ‚Rabbi, wo haben sie Ihre Möbel?‘, ‚Wo haben Sie die Ihren?‘, erwiderte der Rabbi. ‚Meine‘? fragte der verblüffte Fremde. ‚Aber ich bin doch nur zu Besuch hier. Ich bin auf der Durchreise‘. ‚Ich auch‘, sagte Hofetz Chaim,.
Sich der Wahrheit zu stellen, dass unser Leben auf dieser Welt jener Durchreise gleicht gelingt nur, wenn man weiß, dass man nicht 80 Jahre alt werden kann, sondern 70 plus ewig. Zu dieser Einsicht lädt der heutige Predigttext ein.
Zwei Namen und ein Tag: Ewigkeitssonntag und Totensonntag. Beide Namen gehören tatsächlich zusammen. Dieser Wink der Sprache erschließt uns unser Leben. Nur, wer den Tod mit der Ewigkeit
verbindet kann seine Verstorbenen loslassen, ohne sie zu vergessen; denn unsere Verstorbenen bleiben bewahrt. Dieses Gedenken gibt dem Leben eine Chance und verstellt es nicht durch die Trauer. Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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